Kränkungen verstehen und überwinden

Nicht umsonst haben die Wörter „Kränkung“ und „krank“ denselben Wortstamm. Eine Kränkung ist in der Tat ein Erlebnis, nach dem der Betroffene sich krank fühlt – nur selten körperlich, umso mehr jedoch seelisch. Kränkungen sind Erlebnisse wie Ablehnung, Kritik, Zurechtweisung oder ausgeschlossen bzw. ignoriert werden, die wir als Demütigung oder Verletzung empfinden. Was eine Kränkung ist, wie sie entsteht und wie sie am besten verarbeitet werden kann – dieser Artikel erklärt es.

Was ist eine Kränkung?

Unter einer Kränkung verstehen wir, dass unsere Gefühle und oft auch unser gesamtes Selbstwertgefühl durch eine andere Person verletzt werden. Der Betroffene nimmt eine Aussage oder eine Handlung persönlich und reagiert beleidigt. Wer gekränkt wird, fühlt sich im Innern verletzt und angegriffen, er sieht das Erlebnis als Ablehnung seiner Person.

Eine Kränkung bedeutet für viele Betroffene ein Gefühl von Hilflosigkeit, Wehrlosigkeit und Fassungslosigkeit. Die Gefühle, die ein Gekränkter empfindet, sind vielfältig und reichen von Schmerz und Angst über Scham bis zu Zorn und Wut. Solche Gefühle sind in jedem Fall ein deutliches Zeichen an das Gehirn, dass hier eine Grenze erreicht bzw. bereits überschritten wurde.

Viele Betroffene sind nicht in der Lage, diese Gefühle anzunehmen und zu akzeptieren, sondern neigen vielmehr dazu, die negativen Emotionen zu verdrängen. Wer sich gekränkt fühlt, empfindet sein Gegenüber als hinterhältig, brutal und rücksichtslos. Man reagiert mit Beleidigtsein, Rückzug und Rachegedanken. Das Problem ist – auf diese Weise kann eine Kränkung nicht oder kaum verarbeitet werden.

Wie kommt es zu einer Kränkung?

Zu einer Kränkung kann es in den verschiedensten Situationen kommen, und zwar sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich. Ein Beispiel: Eine Freundin erzählt Ihnen am Telefon, sie habe sich ein ganz tolles neues Kleid gekauft. Ein paar Tage später treffen Sie sich, und sie trägt natürlich das neue Kleid. Da Sie nun aber einen ganz anderen Geschmack haben, gefällt Ihnen das Kleid leider gar nicht. Sie mögen Ihre Freundin nicht anlügen und sagen ehrlich, dass Sie sich das neue Teil aber ganz anders vorgestellt haben. Ergebnis: Die Freundin ist gekränkt. Warum? Die Kränkung entstand in diesem Fall durch eine Mischung aus allzu großer Direktheit, fehlender Empathie und zu großer Empfindlichkeit. Das heißt, zu einer Kränkung gehören immer zwei Seiten: eine Partei, die kränkt, und eine, die gekränkt wird bzw. glaubt gekränkt zu werden. Bei diesem Beispiel ist der Kränkende sich sicher gar nicht bewusst, dass sein Verhalten verletzend ist. Und die gekränkte Seite ist sich sicher auch nicht ihrer Empfindlichkeit bewusst. Das bedeutet, wenn beide Seiten unterschiedliche Ansichten darüber haben, was sie als kränkend empfinden, sind Probleme wahrscheinlich.

Kränkungen in einer Freundschaft oder in der Partnerschaft können eine dauerhafte Belastung für die Beziehung darstellen. Auch im beruflichen Bereich können Kränkungen zu einem Problem werden. Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie melden sich im Meeting zu Wort, und ihr Kollege unterbricht sie mitten im Satz. Oder: Sie haben lange eine Präsentation vorbereitet und sich dabei richtig Mühe gegeben. Nachdem Sie Ihr Werk vorgetragen haben, spricht Ihr Chef Sie an und nörgelt an Kleinigkeiten herum. Verständlich, dass Sie sich gekränkt fühlen. Sie werden nicht respektiert, Anerkennung und Wertschätzung werden Ihnen verwehrt.

Folgende Faktoren begünstigen eine Kränkung:

  • Es wird ein unverarbeitetes Thema, ein sogenannter „wunder Punkt“ berührt.
  • Man neigt dazu, Dinge persönlich zu nehmen.
  • Man hat ein Problem, Verantwortung für das eigene Tun zu übernehmen.
  • Man neigt dazu, andere für eigene Schwierigkeiten verantwortlich zu machen.

Kränkungen nagen immer an unserem Selbstwertgefühl. Von daher versteht es sich von selbst, dass Menschen mit einem geringen Selbstbewusstsein empfindlicher und leichter zu kränken sind als solche, die mit einem starken Selbstbewusstsein durch das Leben gehen. In ihrer stärksten Ausprägung können Kränkungen auch Krankheitswert haben.

Was ist eine narzisstische Kränkung?

Eine besondere Form der Kränkung ist die narzisstische Kränkung. Hier haben wir es mit einer krankhaften Ausprägung der Kränkung zu tun. Ein narzisstischer Mensch ist überzeugt von seiner enormen Wichtigkeit. Er hält sich für besser, klüger, schöner und wichtiger als andere Menschen und erwartet dafür entsprechende Anerkennung und Bewunderung von seinem Umfeld. Diese Idee der Besonderheit und Großartigkeit ist jedoch nicht Ausdruck eines gesunden Selbstbewusstseins, sondern vielmehr die Kompensation eines zwar verdrängten, aber dennoch tief verinnerlichten Minderwertigkeitsgefühls. Bleibt nun die erwartete Bewunderung von außen aus oder wird die Einzigartigkeit des Betroffenen gar offen bezweifelt, fühlt sich ein Narzisst tief verletzt und gekränkt und reagiert besonders emotional – mit starker Wut und/oder Abwertung des Kränkenden. In diesen Fällen spricht der Psychologe von einer narzisstischen Kränkung.

Wie kann ich eine Kränkung überwinden?

Das Wichtigste beim Überwinden einer Kränkung ist, sich zunächst ein wenig Zeit zu geben. Wie in vielen anderen Bereichen ist es auch hier besser, das Erlebte erst einmal „sacken zu lassen“ und eine Nacht oder auch ein paar Nächte darüber zu schlafen. Denn eine Kränkung löst oft einen sogenannten „Tunnelblick“ aus, man sieht nur sich selbst als Opfer und ist nicht in der Lage, die Angelegenheit mit etwas Abstand und aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Um eine Kränkung zu verarbeiten, kann es sehr sinnvoll sein, das Erlebte auf einer sachlichen Ebene zu betrachten. Vielleicht ist die geübte Kritik ja sogar berechtigt?

Mit den folgenden Tipps können Sie eine Kränkung am besten überwinden:

Machen Sie es besser

Wie heißt es so schön? Wie man in den Wald hinein ruft, so schallt es heraus. Anders gesagt: Was Sie von anderen erwarten, sollten Sie selbst ganz genau so geben können. Sie empfanden das Verhalten Ihres Gegenübers als beleidigend, demütigend, rücksichtslos? Machen Sie es besser! Bevor Sie etwas sagen, überlegen Sie, wie Ihre Worte bei Ihrem Gegenüber ankommen könnten, ob sie ihn oder sie verletzen könnten. Denken Sie andererseits darüber nach, ob das, was Sie als Kränkung empfanden, möglicherweise gar nicht persönlich gemeint war. Oder ob es sich um berechtigte konstruktive Kritik handelt.

Und wer weiß? Vielleicht war die vermeintliche Kränkung in Wirklichkeit eine Reaktion auf eine vorangegangene Kränkung von Ihrer Seite, die Sie vielleicht gar nicht als solche empfunden haben? Denn: Viele Menschen können hervorragend austeilen, aber nur schwer einstecken.

Holen Sie sich eine Rückversicherung

Nicht jeder hat eine rhetorische Begabung, und nicht jeder ist in der Lage, sein Anliegen angemessen zu kommunizieren. Manch einer formuliert nicht ganz genau, wählt ein „ungeschicktes“ Wort oder schlägt einen unpassenden Ton an. Nicht immer steckt hinter einer vermeintlichen Kränkung tatsächlich eine böse Absicht, oft ist es schlicht mangelnde Redegewandtheit. Da hilft nur eines: Reden! Sprechen Sie Ihr Gegenüber an und fragen Sie, wie das Gesagte genau gemeint war. Bitten Sie ihn, seine Aussage zu konkretisieren und gegebenenfalls mit Beispielen zu belegen. Vielleicht ist das Problem damit bereits aus der Welt geschafft.

Formulieren Sie Ich-Botschaften

Natürlich haben Sie das Recht, Ihrem Ärger Luft zu machen und sich zu wehren. Aber: Einfach beleidigt sein und Wut unreflektiert heraus zu poltern, ist erstens keine feine Art und zweitens in der Regel überhaupt nicht zielführend. Wenn Sie Ihr Gegenüber konfrontieren, verwenden Sie keine Ausdrücke à la „Du warst so gemein“, „Du hast mich beleidigt“ oder gar Verallgemeinerungen wie „Immer musst Du gleich verletzend werden!“. Sprechen Sie lieber aus Ihrer Perspektive, und formulieren Sie Ich-Botschaften wie „Ich habe das neulich so verstanden…“, „Ich weiß nicht genau, wie es gemeint war, aber mich hat die Bemerkung verletzt“ oder „Ich fände es schön, wenn Du in Zukunft etwas zurückhaltender sein könntest“.

Machen Sie es schriftlich

Nicht nur im Fall einer Kränkung, auch bei vielen anderen Problemen hat sich das Aufschreiben als eine sehr effektive Methode der Verarbeitung erwiesen. Wer seine Gedanken und Gefühle schriftlich niederlegt, ist besser in der Lage, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Schreiben Sie genau auf, wie Sie sich durch die Kränkung fühlen, und warum Sie sich so fühlen. Sicher haben Sie es bei anderer Gelegenheit bereits einmal festgestellt: Was einmal niedergeschrieben ist, ist raus aus Ihrem Kopf. Und damit ist dort wieder Platz für neue, positive Gefühle und Gedanken. Mit der Verschriftlichung des Problems geben Sie sich die Möglichkeit, das Erlebte nicht überzubewerten und aufzubauschen, sondern es schon bald zu verarbeiten und damit abzuschließen.

Gewinnen Sie Abstand

Garantiert ist es Ihnen schon einmal passiert: Der Kollege schnauzt Sie an: „Du hast doch keine Ahnung!“ oder der Chef wirft Ihnen an den Kopf: „Sie sind doch völlig unfähig!“ Das klingt zunächst einmal hart, aber vergegenwärtigen Sie sich einmal folgendes: Dies ist nichts weiter als eine subjektive Meinung, weder Chef noch Kollege haben einen Anspruch auf die absolute Wahrheit. Beide Aussagen sind nicht nur unpassend und destruktiv, sondern garantiert auch total falsch. Denn Sie sind weder unfähig, noch haben Sie keine Ahnung. Es liegt demzufolge an Ihnen, ob Sie eine solche Bemerkung an sich heranlassen und ihr damit innerlich zustimmen oder nicht. Lernen Sie zu unterscheiden zwischen einer persönlichen Meinung oder einer unbedachten Aussage aus einer Stresssituation heraus und überprüfbaren Tatsachen.

Arbeiten Sie an Ihrem Selbstwertgefühl

Wie weiter oben erläutert, sind Menschen mit einer geringen Selbstachtung viel empfänglicher für Kränkungen als Menschen, die mit einem gesunden Selbstbewusstsein gesegnet sind. Wenn Sie zu ersteren zählen, arbeiten Sie an Ihrem Selbstbewusstsein. Lernen Sie Selbstliebe, ersetzen Sie negative Gedanken und Gefühle durch positive!

Lernen Sie Vergebung

Welche Person ist es, die Sie gekränkt hat? Schauen Sie einfach einmal genauer hin! Ist es vielleicht ein Ex-Partner, der noch mit Gefühlen wie Enttäuschung und Eifersucht zu kämpfen hat? Ist es ein Kollege, der Sie womöglich insgeheim beneidet und es auf Ihren Posten abgesehen hat? Oder ist es jemand, der für Ihr Leben eigentlich gar keine Bedeutung hat, wie ein entfernter Kollege, den Sie höchstens einmal im Jahr zum Betriebsausflug sehen? Seien Sie großzügig und vergeben Sie! Sie werden sehen, dass die Fähigkeit zur Vergebung eine ganz große Erleichterung bringen kann.

Schlusswort

Eine Kränkung bedeutet immer eine Verletzung unseres Selbstwertgefühls. Wir fühlen uns abgelehnt, unverstanden und nicht wertgeschätzt. Wir reagieren mit Selbstzweifeln und Beleidigtsein. Wie wir eine Kränkung aufnehmen, ist jedoch oft eine Frage des Blickwinkels und der inneren Einstellung. Mit etwas Übung, einer veränderten Perspektive und einem gesunden Selbstbewusstsein gibt es gute Chancen, eine Kränkung zu verarbeiten und zu überwinden.

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1 Kommentar

  1. Ich glaube jeder fühlt sich mal schlecht und meiner Ansicht nach ist es gut, wenn man achtsam mit sich und seinen Gefühlen umgeht.

    Muss ja nicht für jeden hier zutreffen.

    Abstand gewinnen und an seinem Selbstwertgefühl zu arbeiten finde ich eine tolle Sache.

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