Seelische Verletzungen verarbeiten und heilen

Wer ein psychisches Trauma erleidet, trägt tiefe seelische Verletzungen in sich. Der Begriff Trauma (aus dem Griechischen: Wunde) wird in der Umgangssprache jedoch oft ungerechtfertigt benutzt. Denn nicht jede seelische Verletzung zieht auch gleich ein Trauma nach sich.

Studien zu Folge machen zwar etwa 75% der Bevölkerung im Laufe ihres Lebens eine traumatische Erfahrung. Aber nur ein Viertel der Betroffenen entwickelt auch eine Traumafolgestörung, z.B. eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). In den meisten Fällen sind seelische Verletzungen zwar subjektiv sehr schmerzhaft, aber zeitlich begrenzt, und heilen ohne Spätfolgen aus.

Dennoch gibt es sanfte Möglichkeiten, die vollständige Genesung zu unterstützen und die dabei ablaufenden innerpsychischen Vorgänge besser zu verstehen.

Der folgende Artikel vermittelt Ihnen auch Hilfsstrategien, die in akut belastenden Situationen zu einer Verbesserung des Befindens beitragen können. Kräftezehrende Phasen nach dem traumatischen Erlebnis müssen Sie außerdem nicht alleine durchstehen. Im weiteren Text erfahren Sie, wer Ihnen zur Seite stehen kann, und wie Sie den Fokus wieder vermehrt auf die schönen Seiten des Lebens richten können.

Was sind seelische Verletzungen?

Verletzungen der Seele betreffen oder betrafen jeden Menschen im Laufe seines Lebens. Denn ein Leben ganz ohne Stress, Kummer oder kränkende Erfahrungen zu führen, ist niemandem möglich. Die meisten seelischen Verletzungen rufen zum Glück aber nur ein vorübergehendes und in der Intensität noch hinnehmbares Leid hervor.

Wenn Sie z.B. aus dritter Hand erfahren, dass eine Arbeitskollegin hinter Ihrem Rücken abwertend über Sie spricht, kann das sehr verletzend sein. In der Regel werden psychosoziale Belastungen dieser Art jedoch anhand eigener psychischer Abwehrmechanismen relativ gut von selbst bewältigt.

Laut der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT) gilt ein Trauma (griech.: Wunde) als eine seelische Verletzung, zu der es bei einer Überforderung der psychischen Schutzmechanismen durch ein traumatisierendes Erlebnis kommen kann.

Da diese Abwehrmechanismen bei jedem Menschen jedoch ganz unterschiedlich ausgeprägt sind, werden die erlebten Situationen subjektiv in völlig anderer Art und Weise bewertet, empfunden und verarbeitet. Daher kann es durchaus vorkommen, dass dasselbe Ereignis für eine Person traumatisch sein kann, und für eine andere Person wiederum nicht.

Aber auch eine subtile, kontinuierliche oder einmalige plumpe Kränkung ohne Traumafolgen kann schmerzhaft genug sein, um zeitweilig darunter zu leiden.

Was die Seele krank macht

Traumatische seelische Verletzungen haben als Auslöser immer eine von außen kommende Belastung von subjektiv außergewöhnlich schwerer Tragweite. Häufig aufgeführte Beispiele sind Vergewaltigungen, das Erleben von Kriegsgeschehnissen oder Naturkatastrophen. Solche Erfahrungen können tiefe Wunden in der Seele hinterlassen, die den Betroffenen unter Umständen ein Leben lang beeinträchtigen.

Auch minder schwere, aber kontinuierliche Kränkungen oder Bedrohungen können das seelische Wohl gefährden. Ein bekanntes Phänomen aus Beziehungen ist z.B. das sogenannte Gaslighting, eine Form des subtilen psychischen Missbrauchs. Dabei wird ein Partner kontinuierlich manipuliert und dermaßen verunsichert, dass er beginnt, seine eigene Wahrnehmung anzuzweifeln und die gewohnte Realität infrage zu stellen. Diese negative Beeinflussung kann schließlich auch Depressionen, Angst, Panik und andere emotionale Störungen zur Folge haben. 

Was können Sie gegen seelische Verletzungen tun?

Nicht immer ist eine seelische Verletzung therapiebedürftig. Bei belastenden Lebensvorgängen –  z.B. einer Trennung, spielen seelische Schmerzen fast immer eine große Rolle. Dann fällt es schwer, morgens zur Arbeit zu gehen, die Stimmung ist depressiv und Ängste rücken in den Vordergrund.

Wenn daraus eine anhaltend unangenehme Situation wird, kann eine Anpassungsstörung vorliegen. Diese Störung ist aber zeitlich begrenzt (i.d.R. dauert sie mehrere Wochen bis Monate an), und muss nicht immer zwingend therapiert werden. Die Betroffenen haben Schwierigkeiten, sich an die neue Lebenssituation anzupassen und sind von dieser Herausforderung überfordert.

In leichteren Fällen kann der Impuls zur Genesung bereits durch ein gutes soziales Umfeld gegeben werden. Einigen Menschen hilft es auch, solche Momente des Umbruchs für aufgeschobene Wünsche zu nutzen, wie z.B. eine Weltreise.

Selbsthilfe-Maßnahmen stoßen jedoch immer dort an Grenzen, wo eine fachtherapeutische Behandlung (z. B. durch einen Psychologen oder Psychotherapeuten) einsetzen muss.

Wie können Sie seelische Verletzungen vermeiden?

So wie das körperliche Immunsystem von Kneipp-Bädern und Ingwertee profitiert, kann ebenso die seelische Immunabwehr proaktiv gestärkt werden. Diese seelische Widerstandskraft wird auch als Resilienz bezeichnet. Mittlerweile bieten viele Krankenkassen die kostenlose Teilnahme an Resilienztrainings an. Und auch die Literatur listet heutzutage viele verständlich geschriebene Ratgeber zu diesem Thema.

Es lohnt sich tatsächlich, an seiner Seelenstärke zu arbeiten: Menschen, die resilient sind, können belastende Situationen wie Kündigungen, Trennungen oder Verluste besser verarbeiten und leiden folglich seltener an psychischen Verletzungen.

Sie können Ihre Resilienz stärken, indem Sie lernen, konstruktiv mit Belastungen und Herausforderungen umzugehen. Forscher haben aus den Eigenschaften, die resilienten Menschen zu eigen sind, daher 6 leitende Resilienzfaktoren zusammengefasst:

  • Akzeptanz: Nehmen Sie an, was geschieht. Probleme und Krisen gehören zum Leben dazu. 
  • Optimismus: Eine optimistische Einstellung hilft Ihnen, Krisen als vorübergehend zu betrachten. Es werden auch wieder schöne Phasen folgen.
  • Selbstwirksamkeit: Durch den Glauben an eigene Fähigkeiten und Kompetenzen können auch Krisen und Probleme selbstständig angegangen werden.
  • Eigenverantwortung: Verlassen Sie die Opferrolle. Übernehmen Sie Verantwortung und respektieren Sie Ihre (Leistungs-)Grenzen.
  • Netzwerkorientierung: Schätzen Sie Ihre Freundschaften und die Familie. In schweren Situationen geben gute soziale Bindungen halt. Trauen Sie sich, um Hilfe zu bitten und diese auch anzunehmen.
  • Lösungsorientierung: Krisen können auch als Chance genutzt werden. Beachten Sie Ihre Wünsche, wenn es darum geht einen komplett neuen Lebensweg einzuschlagen. Gehen Sie die Dinge an und werden Sie aktiv.

Wie überwindet man seelische Verletzungen?

Die Auseinandersetzung mit verborgenen seelischen Verletzungen stellt für viele Betroffene eine große Hemmschwelle dar. Vor allem dann, wenn sich bereits seit frühester Kindheit etliche negative Überzeugungen angesammelt haben. Solche inneren Skripte und Selbstzweifel sind in jedem Menschen vorhanden – mal mehr ausgeprägt, und mal weniger. Verankert sind sie jedenfalls so tief, dass sie unbewusst noch immer ihre Wirkung entfalten. Inhaltlich reichen sie von Überzeugungen wie: „Ich bin nicht gut genug“ über „ich bin zu dick“ oder „ich bin eine Enttäuschung“. Selbstredend, dass Personen mit solchen Glaubenssätzen anfälliger für seelische Verletzungen sind, als jemand der sich bereits mit seinem inneren Kritiker „ausgesöhnt“ hat.

Besser vorbeugend, aber spätestens wenn Sie akut mit seelischen Verletzungen konfrontiert werden, ist ein Blick auf Ihre inneren Überzeugungen lohnenswert. Haben Sie Ihre peinigenden Glaubenssätze enttarnt, können spezielle Therapieformen anknüpfen. So haben sich z.B. Hypnose, EMDR, Klopftechniken (EFT) und die systhemische Therapie als Mittel der Wahl erwiesen.

Sind die störenden Glaubenssätze erst einmal gegen ein passendes Pendant der Selbstachtung „umgeschrieben“ worden, kann sich die akute Verletzung bereits kurz danach schon abgeschwächter anfühlen. Auch für neue Kränkungen werden Sie zukünftig wahrscheinlich weniger anfällig sein.

Wenn Sie beispielsweise die Überzeugung in sich tragen nicht auszureichen, wird es Sie sehr wahrscheinlich übermäßig stark kränken, wenn Ihr Partner einer anderen Person ein Kompliment macht. Damit wird Ihre Überzeugung gefüttert, niemals eine erfüllende Beziehung zu bieten, da Sie selbst nicht ausreichen würden. Wenn Sie diesen Glaubenssatz allerdings entlarven, und ihn gegen ein „ich bin gut genug und ich reiche völlig aus“ umschreiben lassen, werden Sie das Kompliment an die andere Person nicht mehr als Angriff gegen Sie werten.

Wenn seelische Verletzungen nicht heilen

Stark belastende Geschehnisse klingen normalerweise innerhalb von mehreren Stunden bis wenigen Tagen in ihrer fühlbaren Intensität wieder ab. Diese vorübergehende Störung wird auch akute Belastungsreaktion genannt, und ist eine völlig normale Reaktion auf ein traumatisches Erlebnis.

War das Erlebte jedoch zu erschütternd, als dass die Seele sich von selbst wieder ins Lot bringen kann, sind oft unangenehme Traumafolgeschäden zu erwarten: 

Wenn die erschütternden Bilder und Träume nach mehreren Wochen noch nicht merkbar abgeklungen sind, oder treten sie erst nach Wochen oder Monaten auf, besteht die Gefahr eines chronischen Leidens.

So können traumatische Erlebnisse, je nach ihrer ursprünglichen Intensität, in etwa 10-25 % der Fälle in eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) münden. Diese Reaktion auf ein Traumaerleben tritt verzögert, aber meist innerhalb von 6 Monaten auf und kann mehrere Jahre andauern. In dieser Zeit erleben Betroffene das Trauma in sich aufdrängenden Erinnerungen oder Träumen immer wieder, sie fühlen sich abgestumpft, lust- und teilnahmslos, sind schreckhaft und haben Schlafstörungen, neigen vermehrt zu Depressionen sowie auch Suizidgedanken.

Sollten Sie solche oder ähnliche Phänomene an sich entdecken, sollten Sie sich umgehend psychologische Hilfe einholen. Damit erhöhen Sie die Chance, dass Ihr Leiden sich nicht chronifiziert. 

Wie läuft eine Traumatherapie ab?

Bei einer professionellen, psychotherapeutischen Behandlung von Traumafolgeschäden (Traumatherapie) werden Anteile mehrerer bestehender Therapieformen miteinander kombiniert. So finden sich z.B. adaptierte Formen der Kognitiven Verhaltenstherapie oder psychodynamische Verfahren, die um imaginative Methoden erweitert wurden, wieder. Speziell für die Behandlung von Traumapatienten wurde das EMDR (Eye Movement Desensitization And Reprocessing) entwickelt.

Zu den Behandlungsstrategien zählen im Allgemeinen:

  • Eine dosierte Exposition bzw. Konfrontation, womit ein gewolltes und kontrolliertes Wiedererleben des Traumas und seine assoziierten Auslösereize provoziert werden.
  • Das Versprachlichen des Erlebten, z.B. anhand von Schreibtherapien.
  • Das Bearbeiten emotionaler Reaktionen und eine kognitive Umstrukturierung/Umschreiben der Bewertung über das Geschehene.
  • Das Anwenden von imaginativen Techniken.
  • Die Förderung des Gegenwartsbezugs, z.B. durch Achtsamkeitsübungen.
  • Bewährt haben sich auch Distanzierungstechniken, wie z.B. „die „Tresorübung“: Dabei deponiert der Patient die traumatischen Erinnerungsbilder und Gedanken bewusst in einen gedachten Tresor beim Therapeuten. Dadurch soll die Kontrolle über dysfunktionale Gedankenmuster zurückerlangt werden. Dazu erfolgen Fantasiereisen mit positiven Imaginationen, Entspannungsverfahren und das Kreieren eines „inneren sicheren Ortes“ – das können Erinnerungen an die erste eigene Wohnung oder positive Erinnerungsbilder aus dem Freundeskreis sein.

Warum Sie seelische Verletzungen nicht ignorieren sollten

„Die Zeit heilt alle Wunden“ sagt der Volksmund. Doch bei schwer zu verarbeitenden seelischen Verwundungen ist es ratsam, sich nicht bloß darauf zu verlassen, dass es von selbst besser wird.

Die Folgen der Verletzungen sind nach außen hin nicht sichtbar – und das ist zugleich das tückische daran. Bei einer stark blutenden Wunde wird in der Regel sofort ein Arzt aufgesucht. Doch nicht jeder möchte sich dagegen eingestehen, dass seine verletzte Seele ebenfalls akut einer Versorgung bedarf. Eine zeitnahe therapeutische Versorgung kann die Verschlimmerung der Symptome ausbremsen, und helfen, den Weg in Richtung Heilung zu ebnen. Die Symptome zu ignorieren ist dagegen keine gute Idee, da sich unbehandelte, durch Traumata verursachte Leiden über Jahre hinwegziehen können. Zudem bleibt dann über längere Zeit ein nicht unerheblicher Leidensdruck aufrechterhalten, denn emotionale Verletzungen werden in derselben Hirnregion verarbeitet wie körperliche Gewalt.

Wenn Sie die Verantwortung übernehmen, und die nötigen Schritte einleiten (lassen), vermeiden Sie zudem Verdienstausfälle wegen längerer Arbeitsausfallzeiten oder Berufsunfähigkeit.

Fazit

Die schmerzhaften Erfahrungen lassen sich zwar nicht rückgängig machen, aber Sie können Einfluss darauf nehmen, wie Sie auf diese Erfahrungen blicken und sich dazu verhalten. Sich den Verletzungen der Vergangenheit zu stellen, kann also durchaus hilfreich sein – und unnötig hinzukommenden Schmerz vermeiden.

Leiden Sie an seelischen Verletzungen, sollten Sie sich nicht scheuen, Hilfe anzunehmen. Auch wenn Ihre Situation noch so deprimierend zu sein scheint, können Sie sich zum Ziel setzen, wieder ein beschwerdefreies Leben zu führen.

Haben Sie Verletzungen mit besonderer Tragweite davongetragen, bieten Traumatherapien eine positive Perspektive: So kann ein erlebtes Trauma schlussendlich in die eigene Historie integriert werden können. Im Kontext der aktuellen sicheren Umstände werden sie dann nicht mehr als permanent bedrohlich wahrgenommen. Denken Sie dann daran, dass Sie niemandem zur Last fallen, wenn Sie sich professionelle Unterstützung holen, und diese Menschen Ihnen sehr gerne zur Seite stehen.

Bild: © Pixabay – Pexels.com

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